In der Tageszeitung junge Welt ist am 12. Dezember 2017 ein Interview mit dem Bündnis Marxismus und Tierbefreiung erschienen, welches wir an dieser Stelle dokumentieren.
Bündnis verknüpft Marxismus und die Überwindung des Kapitalismus mit der Befreiung der Kreatur. Gespräch mit Daniel Werding
Interview: Christof Mackinger
Vor drei Jahren sind Sie mit dem Bündnis »Marxismus und Tierbefreiung« angetreten, um »eine theoretische und praktische Vereinigung« der marxistischen Linken und der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung voranzutreiben. In einem Thesenpapier haben Sie dies unlängst ausgeführt, und bei Ihrer kommenden »Osterakademie« in Hamburg wollen Sie die Diskussion vertiefen. Nun ist Marxismus vielen ein Begriff. Was ist unter Tierbefreiung zu verstehen?
Mit dem Begriff wird der Flügel jener sozialen Bewegung bezeichnet, die sich für ein anderes Verhältnis zu Tieren in der Gesellschaft einsetzt. Die Tierbefreiungsbewegung lehnt »Tierwohl« und den klassischen »Tierschutz« ab. Tierwohl ist eine Propagandavokabel der Industrie und der ihr wohlgesonnenen Staatsapparate. Sie meint, dass die Konzerne minimale Änderungen im Umgang mit Kühen, Schweinen usw. vornehmen, sich aber faktisch nichts Wesentliches ändert. Mit dem Tierschutz ist es ähnlich. Wir wollen aber nicht größere Käfige, kürzere Tiertransporte und das Ende der offenkundigsten Misshandlungen, sondern das Schlachten beenden und die Tiere befreien: »Artgerechte Haltung« oder »Nutzung« gibt es nicht. Tiere sollen keine Produktionsmittel sein und nicht wie Gratisproduktivkräfte behandelt, für Profit getötet und als Waren verhökert werden.
Täglich sterben Menschen im Mittelmeer, der Sozialstaat wird ab- und der Überwachungsstaat ausgebaut. Warum setzen Sie sich dann ausgerechnet für Tiere ein?
Wir lehnen es ab, die verschiedenen Probleme des Klassenkampfs gegeneinander auszuspielen. Die herrschende Klasse macht aus allem Geld, was es auf diesem Planeten gibt. Wir können ihr nicht einfach ein zentrales Feld wie die Tierindustrie überlassen. Die Spaltung nutzt dem Gegner, nicht uns. Im übrigen engagieren sich die Mitglieder unseres Bündnisses ebenso etwa gegen die imperialistischen Kriege der NATO und der EU.
Aber warum soll sich die Linke für Tierbefreiung interessieren, was hat das mit Marxismus zu tun?
Der historische Materialismus und Marx’ Analyse der kapitalistischen Produktionsweise sind ein Werkzeug, mit dem man die Ausbeutung von Arbeitern, Tieren und der Natur im Kapitalismus theoretisch begreifen und ihre Befreiung begründen kann. Ein Blick ins Marxsche »Kapital« zeigt zudem, dass die Kapitalisten neben den lohnabhängigen Klassen auch die Natur und die Tiere ausbeuten – wobei sich die Formen unterscheiden. Auf Basis der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie können wir zudem eine Strategie für eine kollektive antikapitalistische Praxis entwickeln, in der Tiere zwar nicht Subjekte, aber Objekte der Befreiung sind.
Wenn man sich die Fleischindustrie anschaut, gibt es zahlreiche Gründe, warum die antikapitalistische Linke und die Tierbefreiungsbewegung gemeinsam für ihre Abschaffung kämpfen sollten. Marx hat einmal, Thomas Müntzer zitierend, gesagt, auch die Kreatur müsse frei werden.
Wie stellen Sie sich eine gesellschaftliche Befreiung der Tiere vor?
Die Befreiung der Tiere ist angesichts des heutigen Stands der Produktivkräfte problemlos realisierbar. Sie benötigt aber einen Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen. Nur wenn uns die Schlachthäuser gehören, können wir sie dichtmachen oder einer Konversion hin zur gesellschaftlich sinnvollen Produktion unterziehen. Da gibt es keinen Unterschied zur Kohle-, Waffen- oder Kulturindustrie.
Das Bündnis Marxismus und Tierbefreiung organisiert vom 30. März bis 1. April 2018 in Hamburg ein Veranstaltungswochenende unter dem Titel „Die Zukunft der Bewegung – Tierbefreiung zwischen Opposition und Affirmation“. Das Programm und weitere Infos finden sich auf www.osterakademie.tk. Hier im Folgenden das Mobi-Video und der Aufruf zur Osterakademie:
Die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung ist gegenwärtig mit mindestens drei Herausforderungen konfrontiert:
Trotz umfangreichen, vielfältigen Aktivismus und vereinzelter Erfolge gerät sie im Kampf mit den politischen und ökonomischen Profiteuren der Tierausbeutung zusehends ins Hintertreffen. Die Fleisch- und andere Tierindustrien blühen, ihre willigen Vollstrecker in den Staatsapparaten sorgen für politische und ideologische Rückendeckung und die entsprechende Kultur feiert – wie etwa die Pelzmode – fröhliche Urständ. Dennoch führt die »Bewegung« keine strategischen und organisatorischen Diskussionen, sondern hält am Eingeübten und einst Bewährten fest. Unsere Proteste vereinzeln, die politische Wirkung versiegt, noch bevor sie sich entfalten könnte. Zu jedem Zirkus eine Demo, vor jedem Laden eine Kundgebung, zu jedem Thema eine Kampagne – seien sie auch noch so aussichtslos und die Beteiligungen gering.
Gleichzeitig greifen etablierte Institutionen, wie z.B. Staatsapparate, Parteien, Stiftungen, Zeitungen, Universitäten usw., die verschiedenen Forderungen einzelner Bewegungsakteure auf. Dies erscheint zunächst positiv. Mit dieser Entwicklung ist allerdings auch die Gefahr der politischen Neutralisation verbunden. Ob Fortschritt oder nicht – die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung reagiert darauf bislang überwiegend unkritisch affirmativ. Hauptsache »aktiv für die Tiere« lautet scheinbar die Devise. Dabei haben etwa die Heinrich-Böll-Stiftung oder die Linkspartei keineswegs per se die Absicht, etwas für die Tiere oder die Tierbefreiungsbewegung zu tun. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen, für deren Durchsetzung politische Bewegungen und AktivistInnen bisweilen eher nützliche IdiotInnen statt BündnispartnerInnen sein sollen. Ganz zu schweigen von den social-media-affinen Ich-AGs und NGOs, für die Tiere und das Mitleid mit ihnen in erster Linie eine lukrative Geschäftsidee sind. Auch die vegane Sub- und Gegenkultur wird durch Unternehmer wie Attila Hildmann, mit jedem entpolitisierten Konsumfest und jeder Konzern-Kooperation Schritt für Schritt dem bürgerlichen Lifestyle preisgegeben.
Schließlich erodiert allmählich das ohnehin sehr brüchige inhaltliche und politisch-strategische Fundament der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Auf Großereignissen der Bewegung wie bei Bündnistreffen klammert man Widersprüche eher aus, als sie auszutragen. Politische Bildung geht nicht über den rudimentären alltagstauglichen Polit-Wortschatz hinaus. Organisationsdebatten münden in die Vermessung bewegungs- und gruppeninterner Wohlfühlzonen. So nimmt es nicht Wunder, dass schwer erkämpfte politische Positionen nach innen und außen unterminiert werden, mühselig erarbeitete linke gesellschaftskritische Theoriebestände versickern und von wissenschaftlich und gesellschaftlich genehmen, liberalen Human-Animal-Phrasen überlagert werden. In logischer Konsequenz wird u.a. die ALF aus der Bewegung heraus als »gewalttätig« dämonisiert, Tierschutz als Ziel des Kampfes für die Tiere akzeptabler, historischer Materialismus und Marxismus werden plump denunziert und das bürgerliche Recht sogar als Verhandlungsgrundlage zur »Befreiung« der Tiere akzeptiert.
Auf diese Herausforderungen müssen wir politisch und organisatorisch reagieren, wenn wir wollen, dass die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung nicht den Weg der Affirmation beschreitet, sondern den der Opposition durch revolutionäre Realpolitik. Nur letzterer bietet die Möglichkeit, wieder Erfolge zu erringen und gleichzeitig die Perspektive für die Befreiung von Mensch und Tier zu verbessern.
Mit der Osterakademie 2018 möchten wir, das Bündnis Marxismus und Tierbefreiung, dazu beitragen, die skizzierten Probleme anzugehen und Argumente für die richtige Richtungsentscheidung zu sammeln. Mit Workshops, einführenden Vorträgen und Podiumsdiskussionen mit Gästen aus der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung wollen wir Lösungsvorschläge debattieren und organisatorische Perspektiven entwickeln.
Osterakademie des Bündnis Marxismus und Tierbefreiung // 30. März – 1. April 2018 // Hamburg
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